Jung Mama werden – Interview mit Xenia

Wie hat denn eine Mutter auszusehen? 

Dieser und weiteren Fragen hat sich Xenia gestellt, als sie selbst mit 21 Jahren Mutter wurde. Damals wurde sie zeitweise mit nett gemeinten Komplimenten versehen, die trotz guter Absicht irritieren und verletzen können. In diesem Interview erzählt uns die junge Mutter über ihren Weg zum Muttersein.

 

Xenia ist gelernte Fachfrau Betreuung und aktuell in einer Ausbildung zur Familien- und Paarberaterin. 

 

Liebe Xenia, wenn du auf deine Geschichte mit deiner nun 7-jährigen Tochter zurückblickst, wo hat diese begonnen? Wie würdest du diese erzählen?

Ich war damals, als ich schwanger wurde, gerade mal 21 Jahre alt und in einer schwierigen ON/OFF Beziehung mit meiner ersten grossen Liebe. In einer der Verliebtheitsphasen waren wir einmal unvorsichtig, wohl mit dem Gedanken, dass wegen einem Mal schon nichts passieren würde. Es kam jedoch anders und so hat die Geschichte mit meiner Tochter begonnen.

 

Als du vermutet hast schwanger zu sein, wie hast du das für dich wahrgenommen? Hattest du körperliche Hinweise darauf oder hast du es gewusst oder gespürt?

Ich habe es vom ersten Moment an „gewusst“. Es war für mich einfach klar, dass ich schwanger bin. Als dann also meine Periode nicht gekommen ist, war dies keine Überraschung für mich. Zudem hatte ich auch schon ziemlich bald einige Symptome bemerkt.

 

Hast du mit deinem Partner über deine Vorahnung gesprochen?

Meinen damaligen Partner habe ich von Anfang an miteinbezogen. Er wollte es jedoch, bis der positive Schwangerschaftstest vorlag, nicht wahrhaben. Er war aber zu diesem Zeitpunkt sehr für mich da, wir haben oft darüber gesprochen. Mit anderen Personen habe ich mich erst ausgetauscht, als die Schwangerschaft bereits bestätigt wurde. 

 

Wie ging es dir, als deine Schwangerschaft bestätigt wurde?

Der erste Gedanke war tatsächlich Freude. Ich wollte immer jung Mutter werden und habe mich auch schon sehr darauf gefreut, wenn es dann so weit ist. Doch kamen auch schnell grosse Ängste und Zweifel. In erster Linie wegen der komplizierten Beziehung zum Vater meiner Tochter. Für mich war da schon klar, dass unsere Beziehung nicht optimal läuft und ich mir mit ihm eine Familie eigentlich nicht vorstellen kann. Aus diesem Grund hatte ich schon von Anfang an das Gefühl, dass ich die Mutterschaft in Zukunft „alleine“ werde stemmen müssen. Dazu kam dann auch die Scham darüber, jung und „ungewollt“ Mutter zu werden und ich habe mich gefragt, was denn mein Umfeld nun von mir denkt.

 

Hast du dich mit dem Thema Abtreibung auseinandergesetzt? War es für dich eine Möglichkeit, dieses Kind nicht zu bekommen?

Das Thema Abtreibung ist mir auch durch den Kopf gegangen. Es stand für mich jedoch nie wirklich zur Option. Einerseits, da ich mich auf mein Baby gefreut habe und andererseits, weil ich es damals aus moralischer Sicht nicht hätte tun wollen. 

 

Wie haben deine Familie und dein Umfeld auf diese Neuigkeit reagiert?

Meiner besten Freundin habe ich es als erstes erzählt. Aus Scham habe ich ihr eine Geschichte von einem geplatzten Kondom erzählt, wie auch den meisten anderen. Sie war mir aber von Anfang an eine grosse Unterstützung und hat mir das Gefühl gegeben, nicht alleine dazustehen. Genau so auch meine Mutter. Diese war über die Neuigkeiten nicht gerade überrascht und auch nicht direkt erfreut, verständlicherweise. Trotzdem wusste ich, dass ich mich immer auf ihre Unterstützung und Hilfe verlassen kann. Mittlerweile sind meine Mutter und meine Tochter ein Herz und eine Seele. Einige Freund*innen konnten meine Entscheidung nicht verstehen. Vor allem aber wegen der nicht funktionierenden Beziehung zu meinem damaligen Partner. Mit diesen Freunden habe ich aber mittlerweile auch keinen Kontakt mehr. 

 

Gesellschaftlich gesehen, bist du eher jung Mutter geworden. Hast du dazu Bewertungen oder Abschätzung erfahren?

Im Grossen und Ganzen bin ich eigentlich sehr überrascht, wie “wenig“ Abschätzung ich erfahren habe. Die Leute haben meistens sehr freundlich reagiert. Klar habe ich ab und zu abfällige Blicke gespürt, habe diese aber auch nicht an mich herankommen lassen. Es kamen aber oft Reaktionen, welche gar nicht abwertend gemeint wurden, bei mir aber trotzdem ein negatives Gefühl hinterlassen haben. Dies waren Aussagen wie: „Wow, wie schaffst du das alles, das muss sehr schwer für dich sein.“ Oder: „Was, du hast schon eine Tochter, du siehst ja gar nicht wie eine Mutter aus.“ 

 

Welche Reaktionen sind dir in Erinnerung geblieben?

Die beiden oben genannten Reaktionen blieben mir schon sehr im Gedächtnis und vor allem die Erste habe ich mehr als nur einmal gehört. Sie gab mir das Gefühl, dass meine Schwangerschaft bzw. mein Kind etwas Schlechtes, etwas Schwieriges sein muss. Auch wenn ich weiss, dass es als Kompliment gemeint war oder als Anerkennung und mich dies natürlich auch immer mit Stolz erfüllt hat. Die zweite Aussage war auf Nachfrage auch als „Kompliment“ zu meinem Aussehen gemeint. Trotzdem fühlte ich mich danach „falsch“, da ich anscheinend nicht aussehe, wie eine Mutter auszusehen hat. 

Und wie hat eine Mutter denn überhaupt auszusehen?

  

Welchen Ängsten hast du dich gestellt?

– Wie wird sich die Beziehung zum Vater verändern?

– Werde ich alles alleine schaffen?

– Wird es finanziell reichen, über die Runden zu kommen?

– Wird mein Kind gesund sein? 

– Falls meine Beziehung zerbricht, werde ich jemals wieder einen neuen Partner finden? 

 

Wie hast du das finanziell gemeistert?

Ich hatte, kurz bevor ich schwanger wurde, meine Ausbildung zur Fachfrau Betreuung in einer Kita abgeschlossen. So habe ich in meiner Schwangerschaft noch 100 % gearbeitet und schon etwas an Geld sparen können. Kurz nach der Geburt habe ich mich dann vom Vater getrennt und habe von ihm keine finanzielle Unterstützung erhalten. Ich bin dann früh wieder arbeiten gegangen und bin mit meinem jüngeren Bruder zusammengezogen. So konnten wir beide unsere Mietkosten minimieren. Im ersten Jahr habe ich von der Gemeinde Mutterschaftsbeihilfe bezogen. Diese wurde dann aber nach einigen Monaten abgeschafft und ich landete automatisch in der Sozialhilfe. Da ich aber auf eigenen Beinen stehen wollte, habe ich schon bald mein Arbeitspensum gesteigert und konnte mich so wieder von der Sozialhilfe lösen. So ist es finanziell immer irgendwie gegangen. Klar musste ich mich in gewissen Dingen einschränken, aber wir haben trotzdem gut gelebt. Zudem konnte ich mich auch finanziell auf meine Eltern verlassen, falls mal etwas Teureres anstand. 

 

Welche Hürden hast du auf deinem Weg genommen? Wie hast du diese gemeistert? 

In den ersten Jahren war für mich das schwierigste, mein Umfeld, meine Freund*innen zu sehen, wie sie ihr Leben gestalteten und ich auf vieles verzichten musste. Ich fühlte mich auch oft einsam, wenn ich am Wochenende am Abend alleine zu Hause war, während meine Tochter schlief und meine Freunde im Ausgang waren. Auch fehlte mir der Austausch mit Gleichgesinnten. Zudem war alles unter einen Hut zu bringen mit Arbeit, Kind und eigenen Bedürfnissen, gerade als junge, alleinstehende Mutter, nicht immer einfach. Ich habe viel mit meinen nahestehenden Menschen gesprochen und auch die Hilfe, die mir angeboten wurde, angenommen oder auch darum gebeten. Dafür darf man sich nicht zu schade sein. 

 

Woran bist du gewachsen?

Ich habe früh gelernt, was es heisst, Verantwortung zu übernehmen und auf eigenen Beinen zu stehen. Ich musste oder durfte mich immer wieder mit mir, meiner Vergangenheit und meinen Einstellungen und Bedürfnisse auseinandersetzen und habe so auch mehr zu mir selbst gefunden. Auch musste ich mit Ablehnung oder Abwertungen klarkommen. Sei es von Freundinnen, potenziellen Partnern, Arbeitgeber oder auch einfach fremden Personen. 

 

So habe ich aber auch gelernt, mich auf die „richtigen“ Menschen und vor allem auf mich selbst zu verlassen. 

 

Wie hast du dir dein Leben eingerichtet? Wie meisterst du deine Arbeit und deinen Alltag mit deinem Kind?

Da ich in einer Kita arbeitete, konnte ich meine Tochter die ersten Jahre mit zur Arbeit nehmen oder mich auch immer auf die Unterstützung meiner Mutter verlassen. So ist es immer irgendwie gegangen. Ich hatte auch grosse Tiefs. Beispielsweise als ich einfach zu viel und in vier verschiedenen Jobs gearbeitet habe. Aber auch in solchen Momenten muss man auf sich und seine Grenzen hören. Ich habe dann meine Jobs gekündigt und konnte mit meiner Tochter einige Wochen nach Asien und in ihr zweites Heimatland Kambodscha reisen. Während der Coronakrise habe ich eine Anstellung in einem Asylzenter bekommen, in welchem ich immer noch arbeite. Ich war und bin da zum Glück sehr flexibel. So konnte ich auch immer auf die Bedürfnisse meiner Tochter eingehen. Mittlerweile führe ich eine tolle Patchworkbeziehung, habe eine sehr enge Bindung zu meiner Tochter und diesen Sommer eine Ausbildung zur Familien- und Paarberaterin begonnen. 

 

Welche Freuden durftest du dank deines Kindes erfahren?

Ich sage immer wieder, dass man die wahre Liebe erst richtig kennenlernt, wenn man ein Kind hat. Ich hatte schon immer sehr gerne Kinder und geniesse meine Zeit mit meiner Tochter immer sehr. Jedes Alter birgt so viele Wunder. Mit meiner jetzt 7-jährigen Tochter kann ich richtig tolle Gespräche führen, welche mich immer wieder zum Nachdenken und zum Lachen bringen. Allgemein habe ich mit meiner Tochter so viel gelacht und diese Momente bleiben einem im Gedächtnis und geben immer wieder Energie. Zudem ist man nie alleine und langweilig wird es einem auch bestimmt nie. Ausser vielleicht, wenn die Tochter zum 100sten Mal Mütterlis und Vätterlis spielen möchte!

 

Welche Vorzüge hat es, jung Mutter zu werden?

Man ist in gewissen Situationen selber noch ein Kind, weshalb ich mit meiner Tochter viel Spass hatte. Man nimmt noch nicht alles zu ernst und kann auch die Erziehung etwas lockerer angehen. Zudem hat man auch noch mehr Energie, um die Nächte mit wenig Schlaf zu überstehen oder den ganzen Tag unterwegs und eingespannt zu sein. Auch habe ich die Chance darauf, mal jung Grossmutter zu werden und diese Freude auch noch in vollen Zügen geniessen zu können. 

 

Was würdest du rückblickend anders machen? Was würdest du deinem damaligen Ich raten? 

Ich denke, in gewissen Situationen würde ich meinem damaligen Ich raten, vorsichtiger zu sein, um nicht schwanger zu werden. Denn ich denke, dass mir ein paar Jahre bevor ich Mutter werden würde, gutgetan hätten. Trotzdem würde ich meine Tochter und auch die letzten Jahre nie missen wollen. So würde ich mir wohl einfach raten, darauf zu vertrauen, dass alles gut kommt und ich es schaffen werde. 

 

Vielleicht liest gerade eine junge, werdende Mutter mit. Was möchtest du ihr auf ihre Reise mitgeben?

Dass man sich bewusst sein sollte, dass die Erziehung oder Begleitung eines Kindes eine grosse Herausforderung ist. Und sich dabei vor allem nicht selbst vergisst. Zudem, dass man nicht immer alles zu ernst nehmen soll und auch mal eine 5 gerade sein kann. Die Kinder brauchen in erster Linie Liebe und das Bewusstsein, gut und richtig zu sein. Ob dann die Wohnung noch immer top geputzt ist oder nicht, spielt da nicht so eine grosse Rolle. 

 

Und noch allgemein. Was denkst du dazu, Frauen die Möglichkeit der Abtreibung zu erschweren oder zu nehmen? 

Früher war ich sehr gegen eine Abtreibung, zumindest für mich. Heute muss ich sagen, dass das Kinderkriegen eine grosse Verantwortung mit sich bringt und dass jede Person selbst entscheiden soll, ob sie diese auch wahrnehmen möchte. Ich finde, dass es jedem freistehen soll, sich über eine Abtreibung richtig informieren zu können und sich auch dafür entscheiden darf, ohne dafür verurteilt zu werden.

 

Was möchtest du Frauen sagen, die vor der Entscheidung stehen, ob sie weiterhin schwanger bleiben möchten oder nicht?

Ich möchte ihnen raten, mehr als nur eine Nacht darüber zu schlafen. Denn egal wie man sich entscheidet, man kann es nicht rückgängig machen. Es soll nicht sein, dass eine Frau aus Angst oder Scham eine Entscheidung trifft, welche sie dann bereut, egal welche es ist. Ich für meinen Teil kann aber sagen, dass die Entscheidung, meine Tochter zu bekommen definitiv die richtige war. Es war oder ist zwar nicht immer einfach und ich habe auch oft daran gezweifelt. Aber mein Leben ist toll, genauso wie es ist und vor allem voller Liebe. 

 

Wie ist dein Fazit aus deiner Erfahrung als junge Mutter? 

Früh Mutter oder auch Vater zu werden, ist definitiv nicht immer einfach. Man muss mit viel Abschätzung, Verzicht und auch Einsamkeit klarkommen. Nach jeder Herausforderung wartet gefühlt bereits die nächste. 

 

Trotzdem ist es eines der schönsten Gefühle, Mutter sein zu dürfen. Man weiss immer genau, warum man am Morgen aufsteht. 

 

Und auch wenn es nicht immer einfach ist, kann man viel erreichen, wenn man auf sich selbst vertraut und auf seine Bedürfnisse hört. 

 

——

 

Als junge Frau gewollt oder ungewollt schwanger zu werden und sich dann für dieses Kind zu entscheiden, ist gesellschaftlich immer noch schwierig und sehr umstritten. Gefühlt jeder hat eine Meinung dazu. Wohlgemerkt eine Meinung zur Schwangerschaft eines anderen Menschen. Der gesellschaftliche Druck, wann und unter welchen Umständen es angebracht ist ein Kind zu bekommen, ist noch immer gross. 

 

Meist ungefragt werden Ratschläge erteilt und teilweise auch unreflektierte Bemerkungen angebracht, die leider sehr verletzend sein können. Das sind auch oft keine boshaften Menschen, man ist sich dieser Verletzung als aussenstehende Person einfach nicht bewusst. Wenn man dem entgegenwirken möchte, hilft es vielleicht, sich folgendes zu verinnerlichen: Keine Schwangerschaft geht einen etwas an, ausser es ist die eigene oder man ist direkt involviert, in welcher Konstellation auch immer.

 

Liebe Xenia, danke, dass du uns deine starke Geschichte erzählt hast.

 

Anna

Anna, bereits Mutter einer aktiven Hundedame, wurde nun mit 31 Jahren auch das erste Mal Mama eines kleinen Menschleins. Zusammen mit ihrem Mann und ihren zwei Schützlingen erforscht sie voller Freude das Leben. Sie liebt Worte, gutes Essen und wenn es draussen nach Schnee riecht. Wenn sie gerade nicht schreibt, schläft sie.